Bücher
'Dein ist das Reich'
Roman
Claassen Verlag
Berlin 2021
ISBN: 9783546100090
Der Roman wird die literarische Landkarte erneuern. Und sie um einen Ort, um einen Kontinent, auch eine Schuld erweitern.
Elke Schmitter, Der Spiegel »
Gedanken zum Buch
Nie wollte ich die Geschichte meiner Großeltern aufschreiben. Sie war so behaftet mit Unglück und Sehnsüchten, dass wir, die Nachgeborenen, nichts damit zu tun haben wollten. Sie standen auf der falschen Seite: Sie waren Kolonialisten, und zwar überzeugte.
Ich dagegen gehörte zu den Leuten, die Frantz Fanons antikoloniale Schriften lasen. Die versuchten, sich von Staatsreligion, Autoritarismus, überkommenen Moralvorstellungen und Rollenzuweisungen zu emanzipieren. Den Rassismus und die Prüderie der Missionare verorteten wir selbstverständlich im selben Feindesland wie den Nationalsozialismus. Wenn ich Freunden und Mitbewohnern erzählte, dass meine Eltern in Neuguinea geboren waren, hieß es erst: Oh, echt, wie spannend! Und was haben sie dort gemacht? Wenn ich dann antwortete, dass meine Großeltern für die Mission gearbeitet haben, erlosch das Interesse sofort. Missionare sind ein denkbar unattraktives Thema. Ein paar alte Missionare, deutsche Kolonien, ein unrühmliches Ende, wer wollte das schon wissen?
Irgendwann im Lauf meiner journalistischen Arbeit fing ich aber an, nach den historischen Fakten hinter den familiären Überlieferungen zu fragen. Ich las also die seit Jahrzehnten in Kartons vor sich hin gilbenden Briefe und war vor allem: befremdet. Nicht, weil sie allzu intim gewesen wären, sondern weil sie so wenig preisgaben. Sie waren konventionell und gefühlsarm. Obwohl meine jungen Großeltern und kindlichen Eltern mehr als zehn Jahre lang durch zwei Ozeane voneinander getrennt waren – die Kinder im Heim oder bei Verwandten in Deutschland, die Eltern in Neuguinea – stand darin nie etwas von Sehnsucht. Um meine Familie verstehen zu können, musste ich die versteckten Gefühle finden – und die Tatsachen.
Ich begann diejenigen auszufragen, die noch lebten, versuchte, aus den uralten, glattgeschliffenen Anekdoten und vagen Zusammenfassungen eine Wahrheit herauszufiltern. Aber der Haufen Fragmente, den ich da vor mir hatte, fügte sich zu keinem Ganzen.
Also begann ich, in Archiven nach den fehlenden Teilen unserer Geschichte zu forschen und historische Bücher zu lesen. Mit diesen Erkenntnissen konfrontierte ich dann meine Familie. Nun bekam ich andere Antworten: Ja, mein Großvater Sch. habe mit den Nazis sympathisiert. Nur sympathisiert. Er habe ja nicht wissen können, was in Deutschland so vor sich ging. Und Nein, an den Anschuldigungen, er habe eine intime Beziehung zu einer Neuguineerin gehabt, sei nichts dran. Diese Andeutungen und Dementis bildeten wiederum den nächsten Ansatzpunkt für meine Grabungen. Das ging so über mehrere Jahre.
Nie werde ich den Tag vergessen, an dem ich, schon ziemlich müde, kurz vor Schließung des Archivs eine letzte Mappe mit marginalen Dokumenten aus Nazizeit durchging. Und da las ich plötzlich, im Zusammenhang mit einer ganz anderen Angelegenheit, dass die Existenz des halbweißen Kindes von Missionar Sch. vor einigen Jahren viel Ärger verursacht habe. Nur ein Nebensatz. Alle anderen Spuren waren getilgt worden, von wem auch immer. Diese Entdeckung war wie eine Diagnose, die man eigentlich erwartet hat, aber nicht wahrhaben wollte. Dann bestätigte mir das Bundesarchiv auch noch einen weiteren Verdacht: Zwei meiner frommen Großeltern waren Mitglieder der NSDAP gewesen. Ich erfuhr von nationalsozialistischen Versammlungen im Dschungel von Neuguinea, sowohl in der holländischen Kolonie wie im australischen Mandatsgebiet.
Irgendwann lag es nahe, ein Buch daraus zu machen, so bizarr waren meine Funde – und so unbekannt ist die Kolonialgeschichte der Deutschen Südsee. Außerdem brauchte ich ein Ziel vor Augen, einen äußeren Antrieb, um mich weiter durch das Material zu wühlen. Also schob ich einen angefangenen Roman beiseite und begann, eine literarische Form für meine Familiengeschichte zu suchen. Ich las die alten Briefe nochmals und füllte sie mit Gefühlen, mit Idealen, mit Intimität. So entstanden die Figuren des Romans, die schließlich meine Großeltern ersetzten.
Videos zu „Dein ist das Reich“
Beitrag auf 3sat Kulturzeit »
Gespräch mit Charlotte Wiedemann bei TazTalk »
Auskünfte über die Arbeit am Buch Deutscher Literaturfonds»
Podcasts zu „Dein ist das Reich“
Interview mit der Lektorin Claudia Marquardt, Text »
Bildergalerie
Presse
… in der deutschen Literatur kommt dieses Kapitel bislang kaum vor. Das ändert sich nun – durch den Roman »Dein ist das Reich« der Autorin Katharina Döbler. Er wird die literarische Landkarte erneuern. Und sie um einen Ort, um einen Kontinent, auch eine Schuld erweitern.
Elke Schmitter, Der Spiegel >>
Katharina Döbler erzählt die Lebensgeschichten ihrer vier höchst unterschiedlichen Protagonist:innen in einer geschmeidigen, stilsicheren Sprache. Mit den Mitteln der Empathie, aber auch mit liebevollem Humor erschließt sie ihr Denken und Fühlen, ihre Sehnsüchte, Träume und Irrwege und entwirft wie nebenbei ein Zeitpanorama vom Kaiserreich bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs.
Oliver Pfohlmann, taz
Die Sprache der Autorin bleibt eindringlich sanft, aber in ihrer inneren Haltung unmissverständlich kritisch. Katharina Döblers Roman kommt zur richtigen Zeit, um der deutschen Kolonialismusdiskussion Anschauungsmaterial zu liefern.
Hans-Peter Kunisch, Die Zeit
In ihrem glänzend recherchierten und geschriebenen Familienroman „Dein ist das Reich“ fragt Döbler nach den harten historischen Fakten hinter den sentimentalen Familienlegenden vom verlorenen deutschchristlichen Papua-Paradies.
Sigrid Löffler, Falter
Das Reich aus dem Titel steht nicht nur für das Wort im „Vaterunser“, sondern auch für die deutschen Expansionsbestrebungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Historisch aufklärend und emotional bewegend, vielschichtig und plastisch erzählt Katharina Döbler vom Kolonialismus in seiner konkreten Ausformung.
Cornelia Geissler, Berliner Zeitung
Diese breit ausgelegte, spannend komponierte und sehr informiert auch den kolonial-missionarischen Kern deutscher Vergangenheit offenlegende Familiengeschichte entfaltet ihre Aura durch die Fähigkeit Döblers, sich in die unterschiedlichen Charaktere insbesondere der Großeltern hineinzudenken und ihnen eine Rede in den Mund zu legen, die sie zu unverwechselbaren literarischen Figuren macht.
Ulrike Baureithel, Tagesspiegel »
'Die Stille nach dem Gesang'
Roman
Galiani Verlag
Berlin 2010
ISBN: 978-3-86971-021-1
Katharina Döbler erzählt in einem raffiniert gebauten Roman nicht nur das Leben einer Frau (..) sondern zeichnet auch von einer ganzen Generation, die unangepasst und rebellisch startete, sich aber in unendlich vielen pragmatischen Kompromissen verlor, und vom Niedergang dessen, was einst unter dem Namen Bildungsbürgertum den kulturellen Ersatzadel Deutschlands darstellte.
„… Und es ist gut, sehr melancholisch und zugleich sehr, sehr komisch, das Buch packt sofort zu. Eine in Tradition erstarrte Bayreuther Familie (man besitzt Wagner-Autografen), die ihre Tochter Isolde nennt und alle Kinder zu Wunderkindern machen möchte, eine stille Geliebte, natürlich nicht gut genug für den Wunderkind-Sohn Falk, den großen (leider nur: Pop-) Sänger, und man liest weiter, und es wird immer besser, und es hat eine Kraft, dass man mit dem Lesen nicht mehr aufhören kann.“
Elke Heidenreich, Die Welt 6.08.2011, Mehr »
„… die Autorin findet einen eigenen Ton und spielt sicher auf einer literarischen und historischen Verweisklaviatur. „Die Stille nach dem Gesang“ erzählt von vielen Stillen. Von der nach dem Liebesakt, dem kleinen Tod, dessen Nachhall hier einen echten Tod provoziert. Von der Stille, die entsteht, wenn eine Sippe wie die Margrafs ausstirbt.“
Katrin Schumacher, Deutschlandfunk Kultur 2.12.2010, Mehr »
„Katharina Döblers Sprache ist prägnant, gewandt, unterlegt mit trockener Ironie. Sie hat ein Faible für die der Sprache innewohnende Doppelbödigkeit und für selbstironische, subkortikale Anspielungen… Präzise fängt die Autorin das Lokal- und Zeitkolorit ein und erstellt ein Psychogramm der Republik von den achtziger Jahren bis ins neue Jahrtausend.“
Claudia Staudacher, Deutschlandfunk 6.06.2011, Mehr »