Das große Schweigen

Über familiäre Gepflogenheiten

Als ich geboren wurde, war der Zweite Weltkrieg noch nicht sehr lange zu Ende. Die Erwachsenen sprachen ab und zu davon, aber nur in Andeutungen; und sie benutzten Wörter, die für mich keine Bedeutung hatten. Bomben, Tiefflieger, Luftschutzkeller, Torpedo, U-Boot. Mit der mir bekannten Wirklichkeit hatte das nicht das Geringste zu tun: nichts mit den schweren Vorhängen im Wohnzimmer, den Binsen in der Bodenvase, den Deckchen, dem Kreuz an der Wand. Nichts mit unserer Familie, mit ihren Regeln für alles, von den Mahlzeiten bis zum Schlafengehen.

Alles war in Ordnung und versuchte, immerzu und noch mehr in Ordnung zu sein. Es wurde ständig gesäubert und gebügelt, geflickt, geklebt, repariert.

Dass es zwischen dem dringenden Wunsch nach Haltbarkeit und Regelmäßigkeit und den Torpedos und Luftschutzkellern einen Zusammenhang gab, begriff ich erst Jahrzehnte später.

Le Monde Diplomatique, 7.05.2020

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